“Dein Wort ist wie ein Licht in der Nacht, das meinen Weg erleuchtet.
– Psalm 119:105
Ich ziehe mich hastig an. Ich schnappe mir meinen Mantel, werfe mir den Schal um, gehe zur Tür und hinter mir höre ich ein Klirren: Meine Schlüssel fallen zu Boden. Ich bücke mich schnell, um sie aufzuheben, aber unachtsam stoße ich meine Lieblingsvase um. Sie fällt, zerspringt auf dem Boden. Keine Zeit, sie aufzuheben. Ich bin schon spät dran.
Ich ziehe meinen Mantel wieder an und eile hinaus, doch wie in einem schlechten Film bleibt mein Ärmel an der Türklinke hängen und ich spüre einen Knoten im Hals. Ich atme tief ein, aber ich merke, wie die Nerven sich in mir breit machen. Ich laufe los, überwältigt von Gedanken, gehetzt und egoistisch, überzeugt, dass mir das genau passieren musste, ausgerechnet heute, an diesem wichtigen Tag.
Ich erreiche die Haltestelle. Dort, wo der Bus erscheinen sollte, kommt nichts. Mein Fuß trommelt nervös auf den Asphalt, ich schaue mal aufs Handy, mal auf die Uhr. Die Zeit scheint stillzustehen.
Für einen Moment hebe ich den Blick. Auf der anderen Straßenseite sehe ich einen alten Mann: grauhaarig, mit weißem Bart, verloren wirkend. Er scheint Hilfe zu brauchen. Vielleicht sucht er den Weg.
„Jemand anderes wird ihm schon helfen“, sage ich mir. „Ich bin zu spät.“
Doch der Bus kommt nicht. Und plötzlich, ohne dass ich es will, setzen meine Beine sich selbst in Bewegung. Ich überquere die Straße hastig, um ihn zu fragen, ob alles in Ordnung sei.
„Junger Mann, haben Sie vielleicht meine Mütze gesehen?“
Eine seltsame Frage von einem Fremden an einem kalten Dezembermorgen. In meinem Kopf murmele ich:
„Verdammt, jetzt treffe ich auf den verwirrtesten alten Mann … Das hat mir noch gefehlt.“
Ich antworte dennoch:
„Nein, ich habe nur gesehen, dass …“
Ich beende den Satz nicht, denn er fährt fort:
„Kein Problem, junger Mann. Mützen gibt es immer. Früher wurden sie anders gemacht, mit Zeit und Geduld. Heute sind alle in Eile, das Ergebnis entsprechend.“
Er schaut mich durchdringend an, als kenne er mich ein Leben lang. Ich versuche mich zu entschuldigen:
„Wenn Sie Hilfe brauchen … ich muss wirklich los, ich bin spät dran.“
„ICH WEISS. Ich erinnere mich, wo meine Mütze ist. Komm, komm!“
Überraschenderweise nimmt er meine Hand und zieht mich auf den Weg, der in den Park führt. Ich lasse mich führen, ohne zu verstehen warum. Während wir gehen, verstummt der Lärm der Stadt. Wir treten in den Park, die kalte Luft schlägt mir ins Gesicht wie ein Weckruf. Ich gehe im Rhythmus des alten Mannes, langsam, fast nervig für meine Eile.
„Wohin gehen wir?“ frage ich mehr aus Reflex.
„Nicht weit, junger Mann … die Mütze ist hier irgendwo.“
Wir bleiben an einer von Blättern bedeckten Bank stehen. Der alte Mann bückt sich, hebt eine dicke Wollmütze auf, schüttelt sie und setzt sie sich sorgfältig auf.
„Siehst du? Alles ist dort, wo es sein soll. Aber wir vergessen, innezuhalten und uns umzuschauen.“
Ich bleibe still. Ich fühle mich gesehen, verstanden, erkannt.
„Du hattest einen schweren Morgen. Deine Schritte haben geschrien.“
„Woher wissen Sie …?“
„Wenn du allein gehst, schlagen die Schritte ziellos. Wenn du mit Gott gehst … werden sie ruhig. Und selbst wenn du hetzt, bleibt in deinem Herzen Frieden.“
Ich bleibe sprachlos. Er richtet den Blick gen Himmel und spricht leise, fast wie ein Gebet:
„Dein Wort ist eine Leuchte für meine Füße und ein Licht auf meinem Weg.“
Die kalte Morgenluft fühlt sich plötzlich wärmer und echter an.
„Junger Mann, du bist heute ohne Licht losgegangen. Deshalb bist du gestolpert. Zünde das Licht an, bevor du gehst.“
Dann hebt er leicht die Mütze zu einem kurzen Gruß:
„Jetzt hast du Licht. Geh.“
Und in einem Augenblick verschwindet er zwischen den Bäumen. Ich bleibe still, ohne Worte. Ich vergesse sogar meine Eile, alles wird plötzlich banal. Ich spüre nur eine tiefe Ruhe, als hätte ich gerade einen Spaziergang mit Gott gemacht.
In unserer hektischen Welt vergessen wir oft das Wichtigste: Ruhe, Licht und Gottes Gegenwart. Der Advent lädt uns ein, innezuhalten, tief durchzuatmen und einen Spaziergang mit Gott zu machen – wie mit einem Freund, der den Weg besser kennt als wir.
Wenn wir Sein Licht vor uns entzünden, wenn wir Ihm Platz in unseren Schritten und in unserer Eile geben, erhalten selbst die chaotischsten Tage Sinn.
Der Advent ist der Beginn dieses Spaziergangs.
Und Sein Licht ist eine Leuchte für unsere Schritte.