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Ein Jahr voller leiser und lauter Stimmen

Ein Jahr voller leiser und lauter Stimmen
Hast du jemals einen dieser seltenen Augenblicke erlebt, in denen die Zeit nicht stehen bleibt, sondern eher so wirkt, als würde sie kurz den Atem anhalten? Nicht laut, nicht sichtbar, sondern ein kaum spürbarer Moment, der sich wie ein inneres Ziehen anfühlt. Ein leiser Impuls, der dich aus dem Fluss des Alltags löst, als würde etwas in dir sagen: „Achte darauf. Das hier ist wichtiger, als es aussieht.“

Genau so begann es. Kein Spektakel, kein Blitz aus heiterem Himmel.
Sondern ein stiller Wechsel, fast unmerklich, wie wenn ein Raum plötzlich anders klingt oder eine Erinnerung kurz heller leuchtet als sonst.

Bevor ich überhaupt begriffen hatte, was sich in mir veränderte, schob sich eine sanfte Ruhe über alles, eine Art tiefe Aufmerksamkeit, die nicht von mir kam. Es fühlte sich an, als hätte jemand die Welt nicht pausiert, sondern neu fokussiert.

Und in diesem seltsamen, konzentrierten Schweigen fand ich mich an einem Ort wieder, den ich zwar kannte, aber nie ganz so gesehen hatte. Ich stand am Meer. Aber nicht am echten Meer, eher an einem Ort zwischen Erinnern und Fühlen. Die Luft vibrierte leicht, als hätte jemand unsichtbare Musik angemacht. Das Licht war warm, nicht hell, so wie Kerzenlicht, wenn man eigentlich schlafen sollte, aber noch wach bleibt, weil irgendwas im Herzen rumort.

Plötzlich hörte ich Schritte neben mir.
Ich drehte mich um, aber da war niemand.
Nur eine Stimme. Leise, klar, irgendwie vertraut.

„Weißt du?“, sagte sie, „Gott spricht öfter, als du denkst.“

„Ach ja?“, antwortete ich, nicht sicher, ob ich gerade mit mir selbst rede. „Und wo denn bitte?“

Die Stimme lachte nicht aus Spaß, sondern als würde sie wissen, dass ich die Antwort eigentlich schon kenne.
„Schau hin.“

Vor mir tauchten Menschen auf, nicht körperlich, eher wie Lichtfiguren. Eine Freundin, die mich dieses Jahr in den Arm genommen hat, als alles zu viel war. Ein Lehrer, dessen Satz mich mehr ermutigt hat, als er ahnt. Jemand, der nur einmal „Hey, du schaffst das“ gesagt hat, genau an dem Tag, an dem ich es hören musste.

Ihr Licht formte kleine Funken, die in den Himmel stiegen.

„Er spricht durch sie“, sagte die Stimme.
Und zum ersten Mal fühlte sich dieser Gedanke nicht weit hergeholt an, sondern selbstverständlich.

Bevor ich etwas erwidern konnte, blinkte die Szene weg wie ein Foto, das zu hell belichtet wurde, und ich stand in einem Wald. Die Bäume waren durchsichtig, als wären sie aus Glas, und ihre Blätter glühten wie Mini-Adventskerzen.

„Nice…“, murmelte ich.

„Das ist Natur. So redet Gott auch“, sagte die Stimme.

„Wie denn? Durch Bäume?“

„Durch alles, was dich still macht.“

Ich erinnerte mich an Momente:
den Sonnenuntergang am Meer,
einen langen Spaziergang, an dem ich plötzlich Frieden spürte,
den Wind, der wie eine Antwort klang, obwohl ich nie eine Frage laut gestellt hatte.

Bevor der Gedanke zu Ende war, wurde alles dunkel. Nicht beängstigend, eher wie wenn man in einen Kinosaal kommt.
In der Mitte der Dunkelheit schwebte ein Licht. Es pulsierte wie ein Herzschlag.

„Das ist Gebet“, flüsterte die Stimme.

„Aha. Und warum sieht’s aus wie ein Glühwürmchen auf Koffein?“

Die Stimme lachte wieder: „Weil du es öfter sieht, als du denkst, aber selten erkennst.“

Ich trat näher an das Licht. Und plötzlich spürte ich etwas wie… Antworten. Nicht in Sätzen. Eher wie Frieden, der leise sagt: Ich bin da. Es war keine Erklärung. Aber es war genug.

Als ich wieder am Meer stand, formten sich die Bilder um mich herum wie ein Puzzle:
die Menschen,
die Natur,
das Gebet.
Alles kleine Teile meines Jahres.

Und mitten darin erschien eine einfache Kerze.
Nur eine.
Ihre Flamme war ruhig, warm und unglaublich klar.

„Was soll die Kerze jetzt bedeuten?“, fragte ich.

Die Stimme antwortete sanft:
„Das ist Advent. Das Licht, das dich an alles erinnert, was du sonst übersiehst.“

Die Kerze wurde heller, aber nicht blendend, eher so, wie wenn man nach langer Zeit etwas versteht.

„Ich war da“, sagte die Kerze.
„In den leisen und in den lauten Momenten.
Das ganze Jahr.“

Und in diesem Moment wusste ich:
Manchmal spricht Gott nicht in Donner oder Feuer.
Sondern in Menschen, die uns sehen.
In der Natur, die uns still macht.
In Gebeten, die wir kaum fertigbekommen.
Und gerade jetzt, in der Adventszeit, wird dieses Flüstern ein bisschen lauter.

 

Andreea Vlaicu